Rokokosaal
Über einem kleinen runden Vorraum, der sich unter dem Pfalzturm befindet und nur durch ein kleines Fenster belichtet wird (Deckenbild von Bergmüller: schwebender Putto, Stuck von Verhelst), gelangt man in den rund 180 qm großen Saal. Seine Wände sind von dem in München tätigen niederländischen Künstler Jakob Gerstens (um 1696–1780) mit Holzschnitzereien des Rokoko verkleidet. Die stuckierte Decke mit vier Bildern der Erdteile (Europa, Asien, Afrika und Amerika; Öl auf Leinwand) von Bergmüller sind bei der Bombardierung Augsburgs in der Nacht vom 25./26. Februar 1944 zugrunde gegangen.
Die im Zweiten Weltkrieg in das Kloster Roggenburg (Landkreis Neu-Ulm) ausgelagerten Wandporträts stellen folgende Personen – Zeitgenossen des Bauherrn – dar:
- An der Westwand Kaiser Franz I. Stephan (reg. 1745–1765) und seine Gemahlin Maria Theresia (reg. 1740–1780), die Herrin der Habsburger Erblande; laut „Denkmäler in Bayern“, Band VII.83 – Stadt Augsburg – (S. 170 ff.) gemalt von dem Wiener Kammermaler Johann Peter Kobler 1759;
- auf der Südseite zum Fronhof hin folgt deren ältester Sohn, Kaiser Joseph II. (reg. 1765–1790); an der gegenüberliegenden Nordwand dessen zweite Frau Josepha Maria Antonia von Bayern (1739–1767), beide 1766/67 gemalt von Sophonias de Derichs (1712–1773);
- ferner auf der Südseite der Kurfürst von Bayern Maximilian III. Joseph der „Vielgeliebte“ (reg. 1745–1777) und wieder gegenüber – seine Gemahlin Maria Anna Sophia von Sachsen (1728–1797); diese Porträts sind dem Maler Georges Desmarees (1697–1776) zuzuschreiben;
- an der Ostwand – zwischen den Öfen aus der Zeit von 1820/30 – Karl Theodor, Kurfürst von der Pfalz, erst ab 1777 auch von Bayern (reg. 1742–1799) und seine erste Gemahlin Elisabeth Auguste von Pfalz-Sulzbach (1721–1794), beide in Mannheim 1755 von Hofmaler Johann Georg Ziesenis (1716–1776) gemalt (einzige lesbare Signatur).
Am Ort dieses Festsaals befand sich im abgerissenen Vorgängerbau der Raum, in dem am 25. Juni 1530 die CONFESSIO AUGUSTANA, das „Augsburger Bekenntnis“ der lutherischen Protestanten, verfasst von Philipp Melanchthon (1497–1560), vor Kaiser Karl V. und den Reichstagsmitgliedern durch den kursächsischen Kanzler Dr. Christian Baier lautstark verlesen worden war (Gedenktafel außen am Fuß des Gebäudes).
Aber auch im Rokoko-Saal fand ein wichtiger politischer Akt statt. An die Stelle des 1806 aufgelösten „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ war auf dem Wiener Kongress (1814/15) ein neuer deutscher Staatenbund von souveränen Fürsten und den vier Städten Hamburg, Bremen, Lübeck und Frankfurt a. Main durch Bundesakte vom 09.06.1815 gebildet worden, der „Deutsche Bund“. Sein Organ hieß damals bereits „Bundestag“. 1866 mündeten Gegensätze von Preußen mit Nordterritorien und Österreich mit Südstaaten in den sogen. „Deutschen Krieg“. Letztere unterlagen in der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866. Wegen der Kriegshandlungen war der Bundestag von seinem Sitz in Frankfurt a. Main nach Augsburg ausgewichen und hatte sich in seiner letzten Sitzung im Rokoko-Saal am 24. August 1866 aufgelöst.
Prunkaufgang
Die Fresken (Malerei auf feuchtem Putz) des Treppenhauses schuf der katholische Direktor der Augsburger Reichsstädtischen Kunstakademie, Johann Georg Bergmüller (1688–1762). An den Seitenwänden sind die drei Hauptflüsse des Bistums Augsburg personifiziert dargestellt: die Donau (lateinisch: Danubius), der Lech (Lycus) und die Wertach (Vinda), letztere mit der Signatur des Künstlers „JGB“ unten an der Muschel.
Zwischen den beiden Fenstern befindet sich ein Medaillon mit dem Kopf des römischen Kaisers Augustus (reg. 27 v. C. – 14. n. C.). Seine Stiefsöhne Drusus und Tiberius hatten im Jahre 15 v.C. das nördliche Alpenvorland besetzt und damit die Gründung der Stadt Augsburg ermöglicht.
Über dem oben umlaufenden Sims sind an der Hohlkehle Wappen-Kartuschen und Bezeichnungen des Bauherrn zu sehen:
- „JHL“ (= Josephus Landgraf von Hessen) in von Putti gehaltener Kartusche, darüber Bischofs-Stab und –Mitra sowie Fürstenhut, darunter „Episcopus Augustanus“ (= Bischof von Augsburg);
- „Josephus“ unter Kriegsgerät auf der Fensterseite;
- „Landgravius Hassiae“ (= Landgraf von Hessen) unter dem Wappen des regierenden Fürst-bischofs;
- „Abbas Feldvariensis“ (= Abt von Dunaföldvar,
- d. h. des ehem. Benediktiner-Klosters da-selbst) unter dem Ortswappen (rd. 40 km donauabwärts von Budapest).
In Eckspiegeln sind die Allegorien der vier Kardinaltugenden in rötlichem Farbton dargestellt:
- Prudentia (= Klugheit, mit Spiegel und Schlange),
- Justitia (= Gerechtigkeit, in Rüstung mit kleiner Waage),
- Fortitudo (= Starkmut mit Säule als Symbol der Festigkeit),
- Temperantis (= Mäßigung mit kleinem Becher).
Über allem wacht an der Deckenwölbung die „Providentia Divina“, die göttliche Vorsehung im Sinne der Fürsorglichkeit, angedeutet mit dem Auge Gottes über dem Szepter. Dazwischen sind Vasen mit den alchemistischen Dreieckszeichen der vier klassischen Elemente, darunter Köpfe der ent-sprechenden Temperamente: Luft und Sanguiniker, Wasser und Phlegmatiker, Erde und Melancholiker, Feuer und Choleriker (falsch ergänzt). Eine fünfte Vase mit drei Gesichtern erinnert an den römischen Gott Janus, den Herrn der Ein- und Ausgänge.
Über dem oberen mit Stuckmarmor gerahmten Portal steht die Marmorbüste des Bischofs Joseph I. von Placidus Verhelst (1727–1778).